Meme Wars – von Lotse bis Fella
Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass politische oder soziale Ereignisse nicht nur in formalen Texten sondern auch in Bildern erklärt werden. Wir zeigen in der Sonderausstellung „Meme Wars – von Lotse bis Fella“ in einem Raum des Berlin Story Bunkers, wie dieses Propagandawerkzeug funktioniert.
Eines der berühmtesten Bilder dürfte John Tenniels „der Lotse geht von Board“ von 1890 sein, welches den Rücktritt Otto Bismarcks als Reichskanzler des Deutschen Reiches darstellt. In der schwarz-weißen Zeichnung sieht man Bismarck in der Uniform eines Lotsen ein großes Schiff verlassen, von welchem Kaiser Wilhelm II. mit verschränkten Armen auf der Reling lehnend auf ihn hinunterblickt. Auch 130 Jahre später ist dieses Bild noch geläufig. Auch ohne zu viel historischen Kontext ist die Symbolik verständlich: Derjenige, der den großen unbeweglichen Koloss durch schwierige Zeiten steuerte, geht nun.
In den folgenden Jahrzehnten gab es im Ersten und Zweiten Weltkrieg vielfältige Kriegspropaganda in gezeichneter, gemalter oder anderer grafischer Form. Das 1939 erschienene britische Plakat „Keep calm and carry on“ (‚bleib ruhig und mach weiter‘) wird bis heute in veränderter Form wieder und wieder verwendet.
Der Hitler-Stalinpakt wurde in zeitgenössischen Karikaturen von Clifford K. Berryman als Hochzeit der beiden dargestellt, zusammen mit der Bildunterschrift: „Ich frage mich, wie lange die Flitterwochen dauern?“.
Gerade in der Diktatur des Nationalsozialismus wurde die Macht der Bilder, Karikaturen, Texte und Grafiken immer weiter ausgebaut und für die jeweilige Zielgruppe optimiert, so dass deren Analysen heute ganze Bücher füllen.
All diese Arten der Darstellung haben gemein, dass sie von verhältnismäßig wenigen Menschen erstellt und großflächig verbreitet jedoch von sehr vielen gesehen worden sind. Meist waren es Zeitungen, Zeitschriften oder Regierungen, welche sie erstellen ließen und in ihrem Sinne verbreiteten.
Demokratisierung der Nachrichten
Die 68er-Generation hatte bereits bessere Möglichkeiten, ihre eigenen Bilder zu erstellen und zu verbreiten. Mit Matritzen- und Offsetdruckern und Kopierern war es möglich, kostengünstig und einfach große Mengen von Flugblättern oder einfachen Zeitungen selber zu gestalten. Aber es wurden auch ganze Produkte entwickelt, wie die Gulasch-Konservendose mit der Aufschrift „Inter-Canibal – Gulaschsuppe von zartem Soldatenfleisch“. Hätte es damals Soziale Netzwerke gegeben, hätte sich dieses Bild daraufhin rasend schnell verbreitet. Es traf den Humor und Zeitgeist vieler Menschen dieser Zeit –andere regten sich furchtbar darüber auf. Die beiden Zutaten, die man für Popularität braucht.
Internet und Memes
Mit dem Aufkommen und der Verbreitung des grafischen Internets, dem WWW, demokratisierte sich der gesamte Prozess der Verbreitung von Nachrichten und Informationen. Plötzlich waren alle gleichgestellt. Jeder konnte Sender und Empfänger sein. Theoretisch kann man heute mit seinem Handy mehr als drei Milliarden Menschen quasi kostenlos erreichen. Wie viele einem zuhören wollen, ist eine andere Frage.
So entwickelten sich Genres von Internet-Humor, die ohne das schnelllebige Netz nicht möglich gewesen wären: Die Memes. Bei einem Meme handelt es sich um ein Bild mit einem Text. Sehr einfach. Der Text setzt dabei das Bild in einen humoristischen Kontext, oft satirisch, böse, überspitzt, plump oder das Offensichtliche noch einmal beschreibend.
Doch zu Memes gehört auch die Veränderung und die Evolution eben dieser. Oft steht das gleiche Ausgangsbild für eine bestimmte Situation: Ärger, Überraschung, Glück, Traurigkeit oder anderes. In Foren und in den Sozialen Medien verwenden verschiedene Menschen die gleichen Bilder und versuchen dabei, einen jeweils besonders guten Text zu ergänzen. Im Laufe der Zeit durchläuft ein Meme auch Evolutionsschritte, bei denen Referenzen zu bereits vorhandenen Memes oder Verweise auf andere Objekte der Popkultur entstehen.
Etwa, wie Musikstücke Teile älterer Stücke enthalten können, was nur den Hörern auffällt, welche beide kennen. So kann es vorkommen, dass man ein Meme sieht, dessen Sinn sich einem nicht erschließt, da einem die Zwischenschritte der Evolution oder der popkulturelle Rahmen fehlt.
Genau deswegen gibt es oft eine Grenze zwischen denen, die Memes lieben und denen, die nicht viel damit anfangen können. Memes sind eine klassische Subkultur des Internets, welche seit Jahrzehnten gepflegt wird.
Memes zur Invasion der Ukraine
Im Rahmen der russischen Invasion der Ukraine kamen auf den entsprechenden Internetforen Memes zu den Angriffen auf. Sowohl basierend auf existierenden Memes, als auch neue. Gemeinsam haben diese, dass sie sich gegen die russische Armee richten. Die Motive sind üblicherweise Unfähigkeit, Feigheit, Korruption und Intrigen.
Als neues Motiv kamen verschiedene westliche Waffensysteme hinzu, welche den Krieg nachhaltig beeinflusst haben. So zum Beispiel die Panzerabwehrwaffe Javelin und der Mehrfachraketenwerfer Himars. Javelin trat dabei meist als überraschender Erfolg auf und Himars als ein tödlicher, vernichtender Angriff, der nicht abgewehrt werden konnte. Oft verstecken sich russische Panzer oder ganze militärische Einrichtungen vor dem Himars. Explosionen auf russischen Basen wurden zum Beispiel regelmäßig als „It’s Himars o’clock“ (etwa: „Es ist Himars Zeit“) kommentiert.
St. Javelin und Himars o’clock
Zur Panzerabwehrwaffe Javelin wurde von Christian Borys auch die Madonnen-ähnliche Figur „St. Javelin“ (die heilige Javelin) kreiert, welche sozusagen den Schutzpatron der Ukrainischen Armee darstellen soll. Diese werden in Form von Aufklebern, T-Shirts und ähnlichen Merchandise-Produktenvertrieben. Mit dem Erlös wurden humanitäre Projekte zugunsten der Opfer des Krieges finanziert und die ukrainische Armee unterstützt.
Memes von offiziellen Stellen
Zu Beginn der Invasion drohte das Flaggschiff der russischen Schwarzmerflotte, die Moskva, den auf der Schlangeninsel stationierten ukrainischen Soldaten, diese zu töten, sollten sie sich nicht ergeben. Die Antwort der dort stationierten Soldaten per Funk: „Russisches Kriegsschiff: Fick dich!“ (Im original: „Русский военный корабль, иди на хуй!“). Dieser Funkspruch verbreitete sich schnell in klassischen und sozialen Medien.
Nur kurze Zeit später verkaufte der Ukrainische Tourismusverband auf der Internetseite „VisitUkraine today“ Pullover mit dem englischsprachigen Text „Russian warship, go fuck yourself“. Dies alleine war kein Meme, aber für eine staatliche Stelle eine überraschende und provokante Aktion.
Bis zu diesem Punkt wäre es ein klassisches Internetphänomen, welches die Bedürfnisse der jeweilige Subkultur befriedigt. Jedoch entwickelte sich die Nutzung im Ukraine-Krieg weiter. Statt dass der Staat und die Medien einzelne Motive schaffen, die konsumiert werden, schuf die Subkultur einen ganzen Strang an Memes, welche von klassischen Medien und der ukrainischen Regierung aufgegriffen wurde.
Es entstanden schnell Memes, welche diesen Satz aufgriffen. Dadurch wurde ein erster Kontakt zwischen diesen Szenen geknüpft. Sehr schnell verstanden die ukrainischen Stellen, welchen Wert die Memes für sie haben könnten. So griffen Sie diese auf und verwendeten sie selber, kreierten aber auch neue.
Das ukrainische Verteidigungsministerium erstellte auch eigene kurze Socialmedia Videos, welche zum Beispiel das Motiv des Mehrfachraetenwerfers Himars aufgreifen, welcher auf einem roten Gummiboot vor der von Russland nach der Annexion der Krim gebauten Kerch-Brücke lauert. Diese Brücke ist für den militärischen Nachschub auf der Krim relevant. Auch dieses äußerst simple Video erfreute sich großer Beliebtheit und wurde Millionen Mal angesehen.
Die russischen Beamten sind nicht in der Lage auf solche Veränderungen in der Medienwelt zu reagieren. Sie sind extrem konservativ und hängen in Strukturen fest, welche ihren Ursprung noch in der Sowjetzeit haben. Eine demokratisierte, satirische Art mit irgendetwas umzugehen, ist ihnen fremd.
NAFO Fellas
Parallel entstand eine weiteres kriegsrelevantes Meme, die NAFO Fellas (North Atlantic Fellas Organization). Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf das NATO-Bündnis, dessen Logo mit einem anderen, bereits vorhandenen Meme kombiniert wurde, dem Shiba Inu Hund. Der Shiba Inu wird traditionell in vielen Memes verwendet und geht zurück auf das japanischen Shiba Inu Weibchen Kapos, das auf einem Foto in einer so auffälligen Weise guckt, dass es sich für Meme-Texte eignete.
Die NAFO-Fellas kombinieren also den bereits bekannten Hund mit einer Verhunzung des NATO-Logos und kreieren so die fiktive Organisation, welche auf Seiten der Ukraine und gegen die russische Regierung agiert. Ein gutes Beispiel für die Evolution von Memes bei denen alte Motive in neue einfließen.
Ukrainische Offizielle begannen selber damit, Bilder der NAFO zu verwenden, auch als Profilbilder in den sozialen Medien. Das ukrainische Verteidigungsministerium dankte offiziell allen, die sich an der Aktion beteiligen.
Memes, Propaganda und PR verbinden sich
Die klassischen Memes, NAFO, St. Javelin und die staatlich kreierten Memes vermengten sich mehr und mehr und spielen im Krieg eine wesentliche Rolle.
Ein wiederkehrendes Motiv zu Beginn des Krieges waren ukrainische Traktoren, welche aufgegebene russische Panzer abschleppen. Dies geschah so häufig, dass das ukrainische Parlament eine Verfahrensanweisung zur Anmeldung und Verzollung erbeuteter Panzer für Privatleute erliess. Dieses Meme wanderte sogar in ukrainische Kinderfilme, bei denen der Traktor mit großen Augen den Panzer abschleppt, worüber sich ein Schaf freut:
Vom Meme zurück in die reale Welt
Diese Kriegs-Memes schafften es auch das Internet zu verlassen und ihren Weg auf gedruckte und in der realen Welt verkaufte Produkte zu finden. Eines der außergewöhnlichsten Ereignisse dürfte die Herausgabe offizieller Postwertzeichen durch die Ukrainische Post sein, welche das versenkte Kriegsschiff Moskva, den panzerschleppenden Traktor, sowie den durch den Krieg berühmt gewordenen Minensuchhund Patron zeigen.
Bei der Herausgabe dieser Briefmarken bildeten sich hunderte Meter lange Schlangen um die Briefmarke zu erhalten. So etwas gab es sonst auch bei seltenen Sammlerstücken nicht. Noch überraschender war der Wunsch vieler Menschen, ihren Bogen an Briefmarken von den Künstler signieren zu lassen, die diese erstellt hatten. So mussten Tische aufgebaut werden, um diesem Wunsch nachzukommen. Wir erhielten die begehrten Briefmarken für unsere Ausstellung im Berlin Story Bunker nur, da wir selber in der Ukraine vor Ort waren und uns in die langen Schlangen einreihten.
Die Memes, welche lange am Rande des Internets in einer Subkultur lebten, haben es also bis in Regierungskreise, Nachrichtensendungen, auf Briefmarken und ins Kinderfernsehen geschafft. Dies ist eine Entwicklung, welche es bisher in keinem anderen Krieg gab.
Tickets & Anschrift
Schöneberger Str. 23A, 10963 Berlin, 365 Tage 10:00 – 19:00, letzter Einlass 17:30. Ticket für alles 12€ / Ermäßigt 9€. Nur Kartenzahlung.
Texte: DE, EN, UA | AudioGuide: DE, EN, FR, ES, IT, NL, DK, RU | Dauer des Besuchs: Ca. drei Stunden