Ist über Adolf Hitler alles gesagt worden? Die Antwort mag überraschen: Nein!

Der deutsche Diktator lebte 56 Jahre und zehn Tage. In den 4473 Tagen seiner Herrschaft, besonders in den 2068 Tagen des Zweiten Weltkrieges bis zu seinem Selbstmord, veränderte er die Welt und brachte Elend, Leid und Tod über Millionen von Menschen. Ende April 1945 befanden sich mehr als 50 Länder mit dem Großdeutschen Reich im Krieg. Nur diese mächtige Koalition konnte Adolf Hitler zum Wohle der Menschheit endlich besiegen und den größten militärischen Konflikt der Weltgeschichte sowie das furchtbarste Menschheitsverbrechen aller Zeiten, den Völkermord an den europäischen Juden, beenden.

Die Geschichtswissenschaft hat sich jahrzehntelang mit grundlegenden Fragen zum Nationalsozialismus beschäftigt, wendet sich nun aber zunehmend anderen Aspekten zu. Historische Forschung ist und bleibt jedoch für ein Gemeinwesen unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Erinnerungskultur. Man kann Geschichte aber nicht nur rückwärts gewandt erläutern, also ausgehend etwa vom – mit Worten eigentlich nicht beschreibbaren – Grauen im Vernichtungslager Auschwitz oder vom Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern auch chronologisch vorwärts, also beginnend mit dem Kind Adolf. Denn es stellen sich Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Welchen Weg nahm Hitler, der Sohn eines österreichisch-ungarischen Zollbeamten, von einem Gasthaus in Braunau am Inn über ein Männerheim in Wien, die Schützengräben des Ersten Weltkrieges in Belgien und Frankreich, den Hinterzimmern Münchener Bierlokale und dem Braunen Haus bis in die Berliner Reichskanzlei und schließlich in den Führerbunker? Auf welchem Weg verlief sein Aufstieg vom Obdachlosen zum wohl am meisten verehrten und gleichzeitig am intensivsten gehassten Menschen der Weltgeschichte?

Der spätere Tyrann war kein „Phänomen“, sondern ein Mensch, der sich im Land fort­bewegte und darin lebte. Da Hitler regelmäßige Büroarbeit ablehnte und Entscheidungen vielfach spontan und abhängig von der jeweiligen Gesellschaft fällte, kommt dem jeweiligen Aufenthaltsort des Diktators eine größere Bedeutung zu als bei anderen Personen der Zeitgeschichte. Er führte wohl das kurioseste Privatleben, das ein Mann mit höchster politischer und militärischer Macht je hatte. Spätestens seit den Jahren 1926/1927 war das eigentliche Machtzentrum der NSDAP dort zu finden, wo sich Hitler aufhielt. Dabei war sein Leben ein einziges Reiseprogramm. Hannah Arendt beschrieb treffend: „Die Uneindeutigkeit des Machtzentrums ist das entscheidende Charakteristikum totaler Herrschaft. Die geografische Verlagerung von Macht hat zur Folge, dass – abgesehen von dem im Führer verkörperten Willen – niemals feststehen kann, wo sich das Machtzentrum des Herrschaftsapparates befindet.“

Viele Städte wollten sich nach 1945 nicht mehr gerne an Hitlers Aufenthalte erinnern. Es ging um schnelles Vergessen, Verdrängung und die Bildung von Legenden, hinter denen viele Städte und Regionen ihre eigene Vergangenheit im NS-Regime verbergen und relativieren konnten. Erst seit einigen Jahren beginnt mancherorts eine seriöse Aufarbeitung. Als eine Art Datenarchäologe habe ich, um Lücken zu schließen, Irrtümer und Fehler aufzudecken, gegen Legenden und Verdrängung anzuschreiben und damit der Erinnerungskultur zu dienen, Historie und Topographie verschmolzen.

Die Ereignisse dieser Zeit kommentiere ich nicht, sondern dokumentiere sie. Man sollte sich bewusst sein, dass Gedenken und Erinnern nichts mit Ehren zu tun haben. Auf den Punkt gebracht hat das die Gemeinde Fischlham in Oberösterreich, die im Jahre 2000 eine Gedenktafel an Hitlers ehemaliger Schule anbrachte: „Zur mahnenden Erinnerung. Nicht Heil: Unheil – Zerstörung und Tod hat er über Millionen Menschen gebracht.“

In diesem Sinne ist auch der Leitspruch des österreichisch-jüdischen Überlebenden des Holocaust Simon Wiesenthal (1908-2005) zu sehen: „Aufklärung ist Abwehr.“ So freut es mich besonders, dass mich dessen Tochter Dr. Paulinka Kreisberg für dieses Buch mit einer Karikatur ihres Vaters unterstützte, die das Wesen des Mannes zum Ausdruck bringt, der wie kein anderer das Böse schlechthin symbolisiert.

Dieses Werk ergänzt die bedeutenden Biographien Hitlers mit einer detaillierten Rekon­struktion seines Lebens. In der Geschichtsschreibung ist es in dieser Form bisher weltweit einmalig.

Coburg, April 2016/2021

Harald Sandner