Bauten, die Staat machen — Erinnerungen und Geschichten von den Baustellen der Berliner Republik

Autor: Florian Mausbach
ISBN:
978-3-95723-188-8
Verfügbarkeit: erscheint am 28. Juni 2022
Umfang: 248 Seiten, 205mm x 125mm, Broschur
Abbildungen: 106
Preis: 19,95 €

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1970 rettet Florian Mausbach mit einer Basisgruppe in Kreuzberg das vor dem Abriss stehende Bethanien, arbeite zwei Jahre beim Verlag für Fremdsprachige Literatur in Peking und setzte sich nach seiner Rückkehr in Frankfurt a.M. für eine Hochhaus-City neben den Gründerzeitbauten ein.

Mausbach schreibt sachlich-informativ und zugleich anekdotenreich, in einer elegant-verständlichen Sprache jenseits von jeglichem Architektenjargon. Er hat Sinn für Geschichte und für Geschichten! Es sind die Memoiren eines „Baudezernenten der deutschen Republik“ in entscheidenden Jahren. Und Zeugnis eines nicht nur stadtplanerisch-architektonischen, sondern auch eines politisch-bürgerschaftlichen Engagements.

Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a.D.

Florian Mausbach [1944] war von 1995 bis 2009 Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, damit verantwortlich für die Bauten des Bundes in Bonn und Berlin sowie die zivilen Bauten im Ausland, also Botschaften und Kulturinstitute.

DAS TITELBILD
Der gigantisch aufragende Eckpfeiler des verhüllten Reichstags, zu dessen Füßen die Menschen wie Gullivers Liliputaner wirken, ist ein Sinnbild des Problems, mit dem sich dieses Buch in Gedanken, Geschichten und Erinnerungen auseinandersetzt: Nicht in Gigantismus, sondern als Monument sollen Staatsbauten die Demokratie repräsentieren – so Prof. Carlo Schmidt in den 1970ern.
Das bis bis zu seiner Verhüllung durch Christo und Jeanne-Claude im Sommer 1995 als düster-steinernes Monument des Wilhelminismus wahrgenommene mächtige Bauwerk wird in einer magischen Kunstaktion verpackt und verwandelt. Und erweckt die Hoffnung, dass mit seiner Enthüllung etwas Neues, Anderes, Zukunftsweisendes entstehen möge. Das Erinnerungsfoto von einem, der dabei war, dem an der Verhüllung mitwirkenden Ingenieur Dr. Wolfgang Stucke, ist ungewöhnlich. Als Titelbild reflektiert es das Thema des Buches. Die Menschen zu Füßen eines übermächtigen Eckpfeilers deuten auf das Problem des Missbrauchs von Monumentalität hin, auf Einschüchterung und Erniedrigung, jedoch zugleich auf eine Monumentalität, die Würde und Achtung, Stolz und Freude ausstrahlt.

„Diese Erinnerungen und Geschichten von den Baustellen der Berliner Republik sind für den informierten Insider ebenso spannend zu lesen wie sicherlich auch von den Menschen, die sich mit diesen Fragestellungen bisher wenig oder nicht beschäftigt haben.“

Dr. Klaus Töpfer, Bundesbauminister 1994-1998

Die Höxtersche Zeitung berichtet im November 2022 ausführlich über Florian Mausbach und sein Buch.

INHALT

Geleitwort von Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D. 6
Einleitung: Von Sturm und Drang zu Amt und Rang 9
1. Bauten, die Staat machen 32
2. Berlins Bestimmung 40
3. Architektonische Botschaften 48
4. Kult am Bau 58
5. Assoluto oder Relativo Nero – Das Bundespräsidialamt 63
6. Böse Bauten – Das Erbe der NS-Zeit 67
7. Gehry oder Chipperfield? – Das Neue Museum 72
8. Teures Juwel: Die Villa Vigoni 79
9. Noch ’n Gedicht! Im Zeughaus Riga 85
10. Eine Wette für Pei – Erweiterungsbau des DHM 90
11. „Die Stunde der Komödianten“ – Botschaftsbau in Haiti 97
12. Eine Adresse für das Bundespresseamt 102
13. In Rekordzeit: Deutsche Schule Peking 107
14. Bauen in Kiew 111
15. Der Koloss von Prora 121
16. Der Bunker oder Die Festung des Atomzeitalters 129
17. Die knallgrünen Polster des Palais Beauharnais 136
18. Aus zwei mach eins – Die neue Botschaft in Mexiko 145
19. Die unsichtbare Schlüsselübergabe im Neuen Museum 149
20. Der Invalide an der Invalidenstraße – Das Bundesverkehrsministerium 153
21. Die Schatzkammer des Wissens – Staatsbiliothek UdL 156
22. Auf dem Peak in Hongkong 162
23. Chronique scandaleuse – Geschichte des Bundesamtes 167
24. Ein geheimnisvoller Palast – Der BND-Neubau 177
25. Supraurbia – Hochhaus und europäische Stadt 186
26. Ein außerirdischer Fremdkörper – ThyssenKrupp vor Staatsratsgebäude 194
27. Mythos Tempelhof 198
28. Paulskirche und Wachensturm 206
29. Ein Denkmal der friedlichen Revolution! 210
30. Das symbolische Bild der Berliner Republik 219
31. Bartoszewskis letzter Wunsch – Ein Polen-Denkmal in Berlin

Geleitwort: Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a.D.

Die Demokratie als Bauherr – wie oft schon ist diese Beziehung als mühselig, schwierig, konfliktreich beschrieben worden! Wie viele Geschichten des Misslingens, aber auch des Gelingens gibt es. Und ist nicht tatsächlich jedes öffentliche Bauprojekt mit manchmal endlosem Streit verbunden, verbittert oder lustvoll geführt? Komplexe Regelwerke und verwickelte Entscheidungsabläufe bestimmen die Bauherrentätigkeit der Demokratie. Viele dürfen und wollen mitmischen, gegensätzliche Interessen und unterschiedliche Geschmäcker, über die man nicht streiten sollte, es aber umso mehr tut. In temperamentvollen oder kühl-mühevollen Jurysitzungen. Mit selbstbewussten, gelegentlich auch eifersüchtigen (Star-) Architekten und nicht weniger eifersüchtigen, selbstbewussten Politikern und Verwaltungsbeamten. (Ich habe als Bundestagspräsident und Vorsitzender der Baukommission des Bundestages nicht wenige solcher Sitzungen erlebt und erinnere mich mitironischem Vergnügen daran.) Und den Streit ums immer zu knappe Geld nicht zu vergessen.
Ja, die Demokratie ist ein schwieriger, ein schwergängiger Bauherr. Und trotzdem sind in der 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht wenige gute und sehr gute und überzeugende Bauten entstanden! Wie das gelungen ist, wie es dabei zuging, das erzählt Florian Mausbach in diesem Buch anhand einiger Beispiele aus der Baugeschichte der deutschen Demokratie. Er erzählt es aus der reichen Erfahrung eines 40-jährigen Berufslebens als Baurat und Bauamtsleiter in Frankfurt, als Baudezernent in Bielefeld und vor allem als langjähriger Chef der Baubehörde des Bundes. Als Präsident des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung war er von 1995 bis 2009 der Bauorganisator des Bundes, hatte also die oberste baupolitische Verantwortung für Projekte und Architekturen, mit denen sich die Republik öffentlich im Land und in der Welt darstellte. Wahrlich eine große Verantwortung.
Mausbach berichtet von den Bauprojekten des Bundes, an denen er selbst beteiligt war, auf die er stolz ist, die er durchlitten hat. Es war ein breites Spektrum architektonischer, bauplanerischer und bauorganisatorischer Aufgaben: Umbauten oder neue Gebäude für den Umzug von Parlament und Regierung aus Bonn nach Berlin, zahlreiche deutsche Botschaften, deutsche Auslandsschulen und Kulturbauten im In- und Ausland. Er schildert die gelegentlich umständlichen und konfliktreichen Entscheidungsprozesse und die Debatten, die dem Bauen vorangingen. Er referiert seine ästhetischen und städtebaulichen Argumente in den Auseinandersetzungen und zeigt sich dabei sowohl als Mann der Moderne wie auch als ein Mann mit Traditionsbewusstsein. Mausbach schreibt sachlich-informativ und zugleich anekdotenreich, in einer elegant-verständlichen Sprache jenseits von jeglichem Architektenjargon. Er hat Sinn für Geschichte und für Geschichten.
Entstanden ist ein Rückblick auf das reiche Leben eines Architekten, der von sich – nicht ohne Stolz – anhand des von ihm (Mit-) Gebauten erzählt. Es sind die Memoiren eines „Baudezernenten der deutschen Republik“ in entscheidenden Jahren. Und Zeugnis eines nicht nur stadtplanerisch-architektonischen, sondern auch eines politisch-bürgerschaftlichen Engagements, das zuletzt und bis in die Gegenwart dem Freiheits- und Einheits-Denkmal – das die friedliche Revolution von 1989 würdigt – gilt und einem Polen-Denkmal – das der Opfer der deutschen Besatzung gedenkt. Die Fertigstellung und Errichtung beider Denkmäler im Herzen der deutschen Hauptstadt wollen wir noch gemeinsam erleben!

Aus der Einleitung

VON STURM UND DRANG ZU AMT UND RANG

Der um 1850 angelegte Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg war Teil einer von Peter Joseph Lenné geschaffenen Grünachse eines kunstvollen Stadtgrundrisses. Am Oranienplatz, Ecke Naunynstraße mieteten wir 1970 als Architekturstudenten der TU Berlin einen leerstehenden Laden. Unweit verlief die Berliner Mauer. Um wissenschaftliche Theorie und gesellschaftliche Praxis zu verbinden, gründeten wir als „Basisgruppe“ ein „Büro für Stadtsanierung und soziale Arbeit“. Es war die Zeit der „Sanierung und Entwicklung von Stadt und Land“ durch große Verkehrsbauten, neue Hochschulen, Kliniken und Flächensanierungen modernisierungsbedürftiger Altbauquartiere. Der West-Berliner Flächennutzungsplan zeigte anstelle des Oranienplatzes ein Autobahnkreuz. Das gründerzeitliche Kreuzberg SO 36 mit seinen gemischt genutzten Hinterhöfen, Wohnungen ohne Bad, mit Toiletten im Treppenhaus und Kohleöfen, sollte abgerissen werden, um modernen Neubauten zu weichen, wie sie in jenen Tagen am Kottbusser Tor und im Märkischen Viertel in die Höhe wuchsen. Es war auch die Zeit sozialer Unruhe, der Studentenbewegung und außerparlamentarischen Opposition sowie erster Bürgerinitiativen gegen Maß- und Rücksichtslosigkeit des städtebaulichen und sozialen Umbaus.

Sanierung – für wen?
Unsere „Basisgruppe“ betrieb Feldforschung durch Befragung der Bewohner des Kreuzberger Sanierungsgebiets und entwickelte zugleich technische Vorschläge für kostengünstige einfache Sanierungsmaßnahmen im sozialen Interesse der Bewohner und des insgesamt erhaltenswerten Baubestandes. In der Textsammlung „Sanierung für wen?“ veröff entlichten und übersetzten wir wissenschaftliche Beiträge zur Stadterneuerung aus Europa und den USA. Zugleich mobilisierten wir Widerstand gegen die zwangsweise Umsiedlung der Bewohner des Sanierungsgebiets und den Kahlschlag in dem gewachsenen Quartier mit seiner hohen architektonischen und urbanen Qualität. Den Höhepunkt bildete die Kampagne zum Erhalt des Bethanien-Krankenhauses am Mariannenplatz. Der pittoreske Backsteinbau der berühmten Architekten Persius und Stüler ist heute ein Baudenkmal samt Apotheke Th eodor Fontanes. 1970 sollte er für spekulativen Wohnungsbau abgerissen werden auf Betreiben der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach und Prinz Louis Ferdinand von Preußen. „Adel und Kapital Hand in Hand!“ lautete die Anklage vor dem Kreuzberger Rathaus. Die Demonstration, in der Ärzte und Krankenschwestern in weißen Kitteln mitzogen, wurde gekrönt von einem Wagen mit der Bethanien-Silhouette unter kreisenden Geiern. Dass rote Fahnen und Mao-Bilder den Zug begleiteten, spiegelte den Geist der 68er-Zeit, so bizarr es heute erscheint.

13 Mäuse für Deng
Es war die Zeit des Viet namkriegs, der den Blick für die Entwicklungen der Dritten Welt weitete und Anteilnahme weckte für den gesellschaftlichen Wandel, der wie ein Beben die ganze damalige Welt ergriff . Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und das zum kriegerischen Grenzkonfl ikt am Ussuri 1969 zugespitzte Zerwürfnis Chinas und der Sowjetunion beunruhigten die Welt und führten zur vorsichtigen Öff nung Chinas zum Westen. Nach dem Diplom 1971 ging ich mit einem Studienkol- legen und Kreuzberger Mitstreiter als Stadtplaner nach Düsseldorf. Doch lockten uns und auch meine Frau Ursula Neugier und Abenteuerlust in die Ferne. In Bad Godesberg trafen wir uns 1972 in einem China-Restaurant mit Journalisten der Xinhua News, um Arbeitsmöglichkeiten in China zu besprechen. Herr Wang Shu, später erster Botschafter der Volksrepublik China in Bonn, fragte mich: „Herr Mausbach, Sie haben Architektur studiert, haben Arbeit und verdienen jetzt gut. Aber was ist, wenn Sie zurückkommen aus China? Erwarten Sie keine Schwierigkeiten?“ Ich erwiderte: „Ich will doch kein Beamter werden.“
Mit einem Zweijahresvertrag als Lektoren im Fremd sprachen-Verlag Peking reisten wir zu dritt ins unbekannte China. Anfang Januar 1976 er leb ten wir in Peking die Trauer um den verstorbenen Zhou Enlai und den Streit um seine Nachfolge als Minister präsident. Der designierte Nachfolger Deng Xiaoping wurde zum Ziel der kulturrevolutionären Linksradikalen um Maos Frau Djiang Tjing. Deng wurde als „kapitalistischer Machthaber in der Partei“ kritisiert und wegen seiner pragmatischen Haltung – „Ob die Katze schwarz ist oder weiß, ist mir egal, Hauptsache, sie fängt Mäuse“ – als schwarz-weiße Katze karikiert. Als die Kollegen unserer deutschen Abteilung im Fremdsprachen-Verlag Deng in Wandzeitungen kritisieren mussten, zeichnete auch ich eine kleine Wandzeitung mit einem Zitat, das ich in einer Rede Zhou Enlais entdeckt hatte, und zierte es mit 13 kleinen Mäusen …