Älteste Straße Berlins: Sägemassaker am Knüppeldamm

Entsetzen am Grabungsort: Der bedeutendste Fund aus der Entstehungszeit Berlins, eine 800 Jahre alte Straße, soll nur minimal erhalten bleiben.

Das war einmal die älteste Straße Berlins. Die Bohlen sind weitgehend weggesägt, die Reste rechts und links erkennbar.
Das war einmal die älteste Straße Berlins. Die Bohlen sind weitgehend weggesägt, die Reste rechts und links erkennbar.Wieland Giebel

Berlin-Mitte-Es war der größte und bedeutendste Fund, der je aus der Entstehungszeit Berlins ans Licht kam: eine 800 Jahre alte, aus Eichen-, Kiefer- und Birkenstämmen geschickt in drei Lagen zusammengefügte Straße, die nahe der Spree eine sichere Passage vom Mühlendamm in Richtung Stralauer Tor über den sehr nassen Untergrund ermöglichte.

Die Spitzenleistung der frühen Berlin-Erbauer überdauerte die Jahrhunderte in 2,50 Metern Tiefe im feuchten Untergrund. Bei den Grabungen am Molkenmarkt hatten die Archäologen mehrere Straßenschichten abgetragen, bis sie feststellten: Unter dem Asphalt liegen einzigartige Zeugnisse.

Als der Fund im Januar der Öffentlichkeit präsentiert wurde, herrschte Begeisterung: „Dieser Straße sind ihre 800 Jahre definitiv nicht anzusehen“, sagte Landesarchäologe Matthias Wemhoff und Kultursenator Lederer: „Es ist wirklich ein echter Knaller, denn hier ist die Wiege dieser Stadt.“

Es war einmal ein 800 Jahre alter Berliner Holzbohlenweg: Kultursenator Klaus Lederer (r.) besichtigt am 19. Januar 2022 den Fonds aus der Gründungszeit Berlins im 13. Jahrhundert.
Es war einmal ein 800 Jahre alter Berliner Holzbohlenweg: Kultursenator Klaus Lederer (r.) besichtigt am 19. Januar 2022 den Fonds aus der Gründungszeit Berlins im 13. Jahrhundert.dpa/Paul Zinken

Am Sonnabend früh machte Wieland Giebel, Leiter des Berlin Story Museums, das hier zu sehende Foto vom Sensationsfund: Auf etwa vier Fünfteln des insgesamt 80 Meter langen Holzwegs sind die langen Mittelteile der Bohlen herausgesägt. Nur ein kleines Stück blieb unversehrt: Rechts und links blieben die nicht ausgegrabenen Endstücke des etwa sechs Meter breiten, in drei Holzlagen errichteten Damms liegen. Wieland Giebel war entsetzt: „Da wird ein beeindruckendes Bauwerk zerstört“, sagte er der Berliner Zeitung. Vor allem die geschickten Verzahnungen der Hölzer nötigten dem Museumsmann Respekt ab.

Nun vermisst er den Aufschrei der Archäologen, die das Bauwerk doch sichern müssten: „Das muss doch an anderer Stelle bewahrt werden, wenn es schon an der ursprünglichen nicht geht“, sagt Giebel verzweifelt und sieht auch Kultursenator Klaus Lederer in der Pflicht, sich um einen angemessenen Umgang mit dem Bauwerk zu kümmern. Tatsächlich machten die Zuständigen, darunter Matthias Wemhoff, bei einer Besichtigung am vergangenen Mittwoch am noch unversehrten Damm einen tief betrübten Eindruck angesichts der Erhaltungsperspektiven.

Besichtigung eines Sägeplatzes
Besichtigung eines SägeplatzesWieland Giebel

Jens Henker, im Landesdenkmalamt für Bodendenkmale zuständig, sendet auf besorgte Nachfrage der Berliner Zeitung, ausgelöst von den Bildern vom Sägeplatz, eine Beruhigung: Der Bohlenweg werde nicht zerstört, sondern unter der Aufsicht des Landesdenkmalamts fachgerecht geborgen: „Einerseits werden Holzproben entnommen, um dendrochronologische Bestimmungen zu den Fälldaten der Hölzer zu erhalten“, schreibt er und ergänzt: „Große Teile werden für museale Zwecke geborgen, die dann nach aufwendiger Restaurierung durch das Museum für Vor- und Frühgeschichte in der Zukunft präsentiert werden.“ Dazu müssten die Hölzer zwangsläufig herausgesägt werden, „was aber ein übliches Verfahren der Bergung ist“.

Sollte, wie erwogen, ein sechs mal acht Meter großer Abschnitt in Einzelteile zerlegt, konserviert und wieder aufgebaut werden, wäre jedenfalls der Straßencharakter verloren. Ein unvollständiges Fenster ist nach Einschätzung des Projektleiters für die Ausgrabungen am Molkenmarkt nicht möglich: Wo der Holzweg fließt, sollen Strom und Gas fließen.